Während im (ultra)orthodoxen Judentum Transgeschlechtlichkeit noch immer zumeist abgelehnt wird, ist sie im liberalen Judentum voll akzeptiert. Im konservativen Judentum gibt es ein breites Spektrum an Positionen.
Viele (ultra)orthodoxe jüdische Gemeinschaften lehnen Transidentitäten ab oder tun sich schwer damit, sie zu akzeptieren. Das (ultra)orthodoxe Judentum legt großen Wert auf die Einhaltung der Halacha (jüdisches Gesetz), die strikte, auf traditionellen Quellen beruhende Geschlechterrollen definiert. Traditionelle jüdische Texte und Rechtsquellen unterscheiden klar zwischen männlichen und weiblichen Rollen und Pflichten, was eine Anerkennung geschlechtlicher Übergänge oder nicht-binärer Identitäten erschwert. Viele (ultra)orthodoxe Rabbiner lehnen geschlechtsangleichende Operationen ab, da sie als Veränderung der von Gott gegebenen Schöpfung betrachtet werden.
Dennoch gibt es innerhalb des orthodoxen Spektrums auch andere Stimmen, wie beispielsweise den ultraorthodoxen Rabbiner Mike Moskovitz, der stolz darauf ist, der LGBTQI+-Community in New York zu dienen. Weitere (ultra)orthodoxe Rabbiner und Gemeinschaften betonen zunehmend die Bedeutung von Mitgefühl und Respekt im Umgang mit Transpersonen. Zudem kennt bereits der Talmud neben den klassischen binären Geschlechtern Mann (sachar) und Frau (nekeva) weitere geschlechtliche Kategorien, etwa den androgynos (eine Person mit männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmalen) und den tumtum (eine Person mit unklaren oder nicht sichtbaren Geschlechtsmerkmalen). Diese Konzepte zeigen, dass jüdische Gelehrte bereits in der Antike ein gewisses Bewusstsein für geschlechtliche Vielfalt hatten.
Im liberalen Judentum sind Transidentitäten voll akzeptiert. Diese Glaubensströmung betont die individuelle Freiheit des Menschen und die Pflicht der Modernisierung des Judentums. Dementsprechend bieten viele liberale Gemeinden spezifische Rituale und Segnungen für Transpersonen an, unterstützen Namensänderungen und erkennen diese in offiziellen Gemeinderegistern und bei religiösen Zeremonien an. Bildung über Geschlechtsidentität und die Erfahrungen von Transpersonen wird durch Vorträge, Workshops und andere Programme aktiv gefördert. In Deutschland setzt sich unter anderem der Verein Keshet für die Rechte von jüdischen LGBTQI+ ein.
Im konservativen Judentum, welches zwischen dem orthodoxen und liberalen Judentum angesiedelt ist, gibt es eine Vielzahl an Positionen. Als richtungsweisend ist allerdings zu verstehen, dass die internationale Vereinigung konservativer Rabbiner 2016 eine Resolution verabschiedete, die transgeschlechtliche Menschen explizit in den Gemeinschaften willkommen heißt.
Der jüdische Staat Israel gilt als das mit Abstand LGBTQI+-freundlichste Land im Nahen Osten. Jährlich findet in Tel Aviv eine große Pride-Parade statt sowie in Jerusalem eine kleinere, umstrittenere.
Weiterführende Informationen:
- Beyrodt, Gerald: Transsexualität im Judentum, 30.12.2016 in Deutschlandfunk Kultur.
- Beyrodt, Gerald und Offenberg, Ulrike: „Transgender gab es schon immer“, 18.01.2019 in Deutschlandfunk Kultur.
- Keshet Deutschland: „Unsere Vision“, o.D.
- Sales, Ben: „This ultraorthodox rabbi just took a job at an LGBT synagogue“, 03.07.2018, in Times of Israel.
- Wagenlander, Richard: „Zwischen Tel Aviv und Jerusalem: Das LGBT+ Leben in Israel“. 03.04.2022, in Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.