Einige sehen den Begriff „Antisemitismus“ kritisch, weil er suggeriert, dass sich der Hass nicht gegen Jüdinnen und Juden richten würde, sondern gegen „Semiten“ – eine Gruppe, die es so nicht gibt. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass der Begriff von einem Judenhasser erschaffen wurde.
Konkret kreierte der bekennende Judenhasser Wilhelm Marr im 19. Jahrhundert künstlich die Kategorie des „Semiten“, um sich und andere Judenfeinde als Gegenpol dazu, eben als Antisemiten, definieren zu können. Er übertrug dabei eine rein sprachwissenschaftlich-relevante Kategorie auf den Menschen, um seinen Judenhass begrifflich zu verpacken und vermeintlich wissenschaftlich legitimieren zu können. Die Kategorie „Semit“ hatte allerdings nie eine wissenschaftliche Basis und Antisemitismus richtet sich seit jeher spezifisch und ausschließlich gegen Juden.
Trotzdem ist heutzutage der Begriff „Antisemitismus“ im allgemeinen und wissenschaftlichen Sprachgebrauch gebräuchlich, um „eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann“, zu beschreiben (Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance, kurz IHRA). „Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“, so die Definition weiter.
Deutlich wird in der IHRA-Definition, dass sich Antisemitismus auch gegen Nichtjuden richten kann, insofern sie als „jüdisch“ gelesen werden. So wurde beispielsweise im Juni 2025 ein Mann im Berliner Gleisdreieckpark mit einem Messer bedroht, weil er eine Davidsternkette trug – der Mann war selbst Nichtjude, trug die Kette aber aus Solidarität. Ein solcher Hass auf alles als jüdisch Wahrgenommene ist ein essenzieller Bestandteil von Antisemitismus. Dieser ist nämlich nicht als Unterform von Rassismus zu verstehen, sondern als eigenständige, menschenfeindliche Weltanschauung. Antisemitismus hat nichts mit dem eigentlichen Verhalten von Jüdinnen oder Juden zu tun. Schon Jean-Paul Sartre stellte fest: „Gäbe es den Juden nicht, der Antisemit würde ihn erfinden“. Dieser Projektionscharakter ist in dem Begriff „Antisemitismus“ tief verankert. Auch deswegen hat er sich im Sprachgebrauch, neben Begriffen wie Judenhass oder Judenfeindschaft, etabliert.
Weiterführende Informationen:
- Amadeu Antonio Stiftung: „Araber sind auch Semiten“, o.D..
- Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus: „Was ist Antisemitismus?“, o.D.
- Fröhlich, Alexander und Marius Gerards: „‘Ich stech dich ab!‘ Berliner in Kreuzberg wegen Davidstern mit dem Messer bedroht – Polizist musste Waffe ziehen“, 21.06.2025, in Tagesspiegel.
- International Holocaust Remembrance Alliance: „Arbeitsdefinition von Antisemitismus“, o.D.
- Main Andreas und Wolffsohn, Michael: „‘Der Begriff taugt nicht‘“, 31.07.2018 in Deutschlandfunk.
- Schweizer Radio und Fernsehen: „Der ewige Sündenbock: Jean-Paul Sartre über Antisemitismus“, o.D.